Der lachende Zahnarzt

Mein Zahnarzt ist ein bemerkenswerter Mann. Er ist von hier und mit dem hier üblichen, zupackenden Humor gesegnet. Meine Termine verlaufen meistens ungefähr so:

Es pocht im linken Oberkiefer. Als Beitrag zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen erwäge ich eine Selbstoperation unter Zuhilfenahme einer Flasche Mariacron und einer alten Kombizange, will dann aber den Staat beziehungsweise meine Krankenkasse nicht aus ihrer Fürsorgepflicht entlassen und mache mich auf den Weg zum Doc.

Nachdem ich meine zehn Euro Eintritt bezahlt habe, muss ich nur wenige Minuten warten, bis die Show beginnt. Der Doc ist ein fröhlicher, rundlicher Mann mit rosigem Teint, der seinen Job unübersehbar liebt. »Ah, da isser ja«, sagt er, als ich hereinkomme, und reibt sich die Hände. Dann ändert sich seine Haltung und er sieht aus wie John Goodman in The Big Lebowski. Er formt mit Zeigefinger und Daumen eine Pistole, zeigt damit auf meinen Kopf und sagt mit tiefer Stimme: »Sie betreten eine Welt voller Schmerz!« - Worauf er sich gleich vor Lachen, wie man früher sagte: ausschütten muss. Ich warte, bis er sich die Tränen abgewischt hat, und will wissen, ob er heute schon jemanden umgebracht hat, um sich die Kopfprämie der Krankenkasse für die Eliminierung sozial unverträglicher Langzeitleistungsinanspruchnehmer zu sichern.

»Ach, der Tag ist noch lang. Aber Sie haben recht, der Jaguar will betankt sein, das Segelboot poliert und der Hubschrauberlandeplatz am Haus braucht eine neue Asphaltdecke.« Er zwinkert mir zu. Ich weiß, er meint es nicht ganz ernst. Erst gestern sah ich ihn mit einer Tasse Suppe in der Hand aus der Bahnhofsmission kommen, wo mittwochs immer die Zahnärzte betreut werden.

Er setzt mich auf den Stuhl und ich schildere mein Problem. Der Doc hält mir die Nase zu, sodass ich automatisch den Mund öffnen muss. »Links oben sagten Sie? Der Rest sieht aber auch ziemlich schlimm aus.« Ein herzhaftes Lachen joggt durch seinen Körper. Die Zahnarzthelferin mit den schönen dunklen Augen über der Gesichtsmaske nickt mir zu, als wollte sie sagen: Wir machen Sie zwar nicht gesund, aber wir werden unseren Spaß haben.

Der Doc sieht sich nun doch die von mir reklamierte Stelle an. »Oh! Ganz großes Kino! Wenn man Horrorfilme mag! Und ich liebe sie! So, und jetzt wird erst mal gebohrt!«

Ich verlange eine Betäubung. Das Gesicht des Docs verfinstert sich. »Ach kommen Sie, seien Sie kein Weichei! Denken Sie auch an mich!«

Ich bestehe auf der Betäubung. Grummelnd gibt der Mann in Weiß nach, holt eine Spritze hervor, die mir vage bekannt vorkommt. Stimmt, gestern habe ich in einer Dokumentation gesehen, wie mit einem solchen Gerät ein Elefant schlafen gelegt wurde. Während wir darauf warten, dass das Mittel wirkt, stellen wir Gemeinsamkeit her, indem wir über andere Ärzte herziehen. Ich gebe zu Protokoll, dass ich vor allem Orthopäden für kriminelle Metzger halte. Der Doc lacht. Dann wird er kurz ernst und gibt zu bedenken, dass die Orthopädie aber auch ein weites Feld sei. »Was glauben Sie, warum ich Zahnmedizin studiert habe! Da muss man sich nicht so viel merken. Die paar Zähne! Und wissen Sie was?« Eine weitere Lachböe durchtost ihn, und er muss sich am Stuhl festhalten. »Manchmal denke ich, ich hab die Zähne alle schon mal gesehen! Wirklich! Ich kenne die alle! Die Leute machen den Mund auf und ich denke: Euch hab ich doch schon mal gesehen! Nicht zu fassen!« Mühsam reißt er sich zusammen. »Entschuldigen Sie bitte!« Er verlässt den Raum. Seine Assistentin legt beruhigend eine Hand auf meinen Arm. Nebenan hört man den Doc schallend lachen und auf irgendwas eindreschen. Er kommt zurück. »So jetzt geht's. Wirkt die Betäubung? Ja? Na, fangen wir trotzdem an!«

Wie angekündigt wird jetzt erst mal gebohrt. In meinem Schädel breitet sich ein Geräusch aus, wie wenn man mit einem rostigen Nagel über eine Schiefertafel kratzt, nur viel schlimmer. Zwischendurch sagt der Doc Herrlich!, Großartig! und Wunderbar!

»Klingt fies«, merke ich an, als ich mir mal den Mund ausspülen darf.

»Das ist Musik in meinen Ohren!«, schwärmt der Doc.

»Na, Sie sehen doch bestimmt einmal die Woche den Marathon-Mann, was?«

»Ach, es gibt einfach so wenig gute Zahnarzt-Filme!« Richtig traurig ist er jetzt. »Obwohl, ein Kollege hat mir mal einen empfohlen. Amerikanische Ware. Echter Schocker: Der Dentist, zwei Teile. Hatte aber noch nicht das Vergnügen.« Und er erzählt mir, dass manche seiner Kollegen versteckte Kameras in ihren Behandlungsräumen installiert haben und die Filme dann in extra abgeschotteten Internet-Foren kursieren lassen. »Äh, das hab ich jedenfalls gehört, hähä!«

Ganz nebenbei stellt sich heraus, dass bei mir eine Füllung gebrochen ist. Ich könnte eine neue kriegen, aber das wäre nur der halbe Spaß, sagt der Doc. Er empfehle, gleich reinen Tisch beziehungsweise Zahn zu machen und in einer ausgedehnten Wurzelkanalbehandlung den Nerv zu killen. »Dens rasa, wie der Lateiner sagt. Da spüren Sie dann gar nix mehr. Und Sie haben es doch nicht so mit Schmerz. Es hätte auch den Vorteil, dass der Zahn dann nicht mehr versorgt würde, porös wird und abbrechen kann. Hat auch was!«

»Doc«, sage ich, »wenn ich Ihnen eine Freude machen kann...«

»Großartig. Aber dafür wollen wir uns Zeit nehmen. Die schönen Dinge im Leben soll man genießen. Ich mach Ihnen da jetzt was Provisorisches rein, und dann kommen Sie nächste Woche wieder. Kleiner Tipp: Kaugummi, Storck-Riesen oder Nappo! Das sind so richtige Plombenzieher, und man erhält ein ganz famoses Schmerzgemälde. Also, wenn Sie sich mal was gönnen wollen ...«

Ich gehe raus, eine Frau mittleren Alters geht hinein. »Ah, da issie ja!«, wird sie vom Doc voll der freudigen Erwartung begrüßt. »Manchmal frage ich mich, wieso ihr alle immer wiederkommt! Okay, ihr wollt es nicht anders. Wissen Sie, manchmal mein ich, ich hab die Zähne alle schon mal gesehen. Ehrlich, die Leute machen den Mund auf und ich denke: Euch kenn ich doch, ihr Brüder! Betäubung? Tut mir leid, der Kollege, der vor Ihnen dran war, hat alles verbraucht. Kleiner Scherz. Haha! Und wenn ich mir das so ansehe, kann ich nur sagen: Schlussverkauf! Alles muss raus! Wie? Ach was, es gibt so schöne Schnabeltassen...«

Ich finde, zehn Euro sind für diese Show wirklich nicht zu viel.

 

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